Ein bisschen Freiheit in Le Gurp

 

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Gestern war ein besonderer Tag. Nachdem wir etwa einen Monat lang in einem “confinement” gelebt hatten, bekamen wir an diesem Tag ein kleines Stück Freiheit zurück. Für "Erholung und Sport" durften wir bis dato nur maximal 1 Stunde von zu Hause entfernt sein und nicht weiter als 1 km, jetzt ist das auf 3 Stunden und 20 km ausgedehnt worden. Das ist ein großer Unterschied zu vorher. Wir müssen immer noch eine “attestation” vorzeigen, in der wir eintragen, wann wir losgegangen sind und warum, aber man kann jetzt ohne besonderen Grund raus gehen.

Zum Glück war es schönes, sonniges und windstilles Wetter. Deshalb habe ich mich ins Auto gesetzt und bin nach Le Gurp gefahren. Der Platz “Le Gurp” befindet sich direkt hinter dem Strand und ist nicht mehr als ein sehr großer Campingplatz, ein paar Geschäfte und Restaurants, die im Winter geschlossen sind, ein Parkplatz und ein Abgang zum Strand. Niemand wohnt zur Zeit dort. Im Sommer ist dort sehr viel los und es ist sehr voll, aber im November ist Le Gurp normalerweise so gut wie menschenleer. Ab und zu kommen Médocainer nach Le Gurp, um am Strand spazieren zu gehen, bei geeignetem Wetter sieht man auch Surfer, aber oft kann man die Menschen am Strand an einer Hand abzählen, und manchmal sieht man überhaupt niemanden dort. Und so erwartete ich, Le Gurp vorzufinden. Aber in der Stichstrasse, die dorthin führt, stellte ich bereits fest, dass mir ein paar Autos entgegenkamen. Und das war auffällig, denn normalerweise ist diese Straße Ende November so gut wie nicht befahren. Als ich in Le Gurp ankam, war ich überrascht von den vielen Autos auf dem Parkplatz.

Als wäre es der erste schöne Tag im Frühling waren ganze Familien ausgezogen, um am Strand spazieren zu gehen, Sport zu treiben, im Sand zu spielen oder einfach aufs Meer zu schauen. Wie bei den Rindern, die nach dem Winter den Stall verlassen und zum ersten Mal die Weide betreten dürfen, herrschte eine ausgelassene Stimmung unter den Besuchern. Die Menschen strahlten Fröhlichkeit aus, und die Erleichterung, wieder uneingeschränkt an den Strand gehen zu können war deutlich sichtbar.

Le Gurp hat einen schönen Strand, aber auch hier, wie anderswo, wurde in letzter Zeit viel Sand vom Meer weggeschwemmt. An der Dünenkante kann man sehen, wie die Erosion voran schreitet. Wie überall entlang der Küste gibt es auch hier noch Überreste von Bunkern des Atlantikwalls. Wegen der Erosion der Küste glitten die Bunker, die ursprünglich in den Dünen standen, auf den Strand. Für Einheimische und Urlauber bilden sie begehrte Objekte, um sich mit ihrer Kreativität auszutoben. Auf den grauen Beton wurden bereits viele Spraydosen mit Farbe entleert. Diese Farbe wird dann im Winter durch das ständig aufpeitschende Meer teilweise wieder abgeschliffen, wonach die Farbdosen in der nächsten Sommersaison wieder in Einsatz kommen.

Nicht jeder mag diese Form von Graffiti, aber was auch immer man davon halten mag, immerhin ist es farbenfroh. Und auch die Tatsache, dass durchaus talentierte Sprayer am Werk waren, ist deutlich sichtbar. Die Gemälde sind teilweise organisiert zustande gekommen und im Internet ist sogar von einer Gurp-Graff-Schule die Rede (https://www.picuki.com/profile/gurp.graff.school).

Die Küste hier ist beliebt bei Surfern, die man fast immer irgendwo auf die richtige Welle warten sehen kann. Dies ist auch an diesem Tag, beim herannahenden Sonnenuntergang, der Fall. Der Strand färbt sich heute im Licht der untergehenden Sonne rot. Und dann verschwindet die Sonne. Die Temperatur fällt plötzlich rapide ab und der Strand leert sich. Selbst die letzten Surfer sind aus dem Meer gekommen. Die Stille senkt sich wieder über Le Gurp. Selbst die Brandung ist kaum hörbar.

2020 Marius van Deventer (Grayan), Übersetzung: Christian Büttner