Wenn ich Deutschen Frankreich erklären soll, mache ich das gern am Beispiel von L’Eden in Pauillac. Das ist ein Kino. Der Ort hält, was sein Name verspricht. Es liegt nah an der Gironde in einem schönen alten Gebäude, und für 5€ Eintritt kann man dort immer gute Filme sehen. Denn L’Eden ist ein cinéma art et essai, also ein Programmkino.
Einmal im Jahr wird ein aufwändiges internationales Filmfest organisiert, les vendanges du septième art. Es gibt eine Woche lang von morgens bis abends interessante Filme zu sehen, nicht selten sind es nationale Erstaufführungen. Internationale Stars und Jurymitglieder werden fürstlich auf den umliegenden Weingütern untergebracht und erfreuen das Publikum mit anregenden Diskussionen und Gesprächen. Dafür öffnet auch das fußläufig erreichbare Château Pontet-Cadet schon mal seine edlen Pforten.
Da spielt dann das 5000-Seelenstädtchen Cannes. Mit ein paar Unterschieden allerdings: Die Roben sind weniger prächtig, die Fotografen und Journalisten weniger zahlreich, es gibt fast immer Plätze für normale Sterbliche, der Eintritt kostet noch weniger als sonst, nämlich nur 4 €, die open-air Aufführungen an lauen Sommerabenden auf dem großen Platz an der Gironde sind umsonst, das Publikum hat Stimmrecht und darf einen Preis vergeben. In den Pausen können alle Zuschauerinnen gepflegt chillen bei gutem Wein und Canapés, in Liegestühlen an den Ufern der Gironde. Gratis natürlich! Die Sponsoren kommen für die Kosten auf.
Im Eden dürften 250 Personen Platz haben, aber nur während des Festivals ist der Saal voll besetzt. Während des restlichen Jahres sitzen dort bei den Vorstellungen um die 20 Zuschauer. Manchmal noch weniger. Man kennt sich.
Als ich im letzten Jahr mit Lydie eines abends ins Eden kam, waren wir die Einzigen. Auf dem Programm stand « Une belle affaire », ein deutscher Film (« Zwei zu Eins ») in Originalfassung mit französischen Untertiteln. Ich war mir sicher, dass die Vorstellung mangels Interessierten ausfallen würde und bedauerte sehr, dass Lydie nicht meine Lieblingsschauspielerin Sandra Hüller, von der ich ihr schon vorgeschwärmt hatte, sehen könnte. Das war sehr deutsch gedacht. Unser Nachbarland ist hoch verschuldet, spart aber nicht, wie wir Deutschen es gern tun , als Erstes am Essen und der Kultur. Lydie und ich bekamen unsere Privatvorstellung. Immerhin 50% deutsche Muttersprachlerinnen im Zuschauerraum des Kinos einer kleinen französischen Stadt. Paradiesisch !
Lieselotte Steinbrügge (Vertheuil)